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Nachbericht: Vom Verkehrsraum zum öffentlichen Raum

8. Oktober 2019

Foto: Simone Melenk

Architekt und Stadtplaner Stefan Bendiks zu Gast im Baukunstarchiv NRW: Für den BDA Dortmund Hamm Unna und seinen Beitrag zur BDA-Landesreihe „Stadt in Bewegung – mobil ökologisch lebenswert“ reiste der Botschafter für eine „aktive Mobilität“ aus Graz an.

Umdenken und umverteilen

Architekten lieben Schwarzpläne, Stefan Bendiks interessiert sich eher für das Weiße. „Was die Stadt wirklich ausmacht, ist die Fläche zwischen den Gebäuden“, sagt der Architekt und Stadtplaner, der auch Autor ist, Fahrrad-Botschafter und Motor einer „aktiven Mobilität“. Nur Schwarz-Weiß ist die Stadt dennoch nicht. Bendiks sieht sie bunt. Und reich an Begegnungen in öffentlichen Räumen, auf Plätzen, auf der Straße, den Gehwegen, beim Radfahren, Spielen, Pausieren oder einfach nur irgendwo sitzen und in die Welt drumherum schauen. Bunt und mit anderen zusammen erlebnisreich kann Stadt die Menschen auch künftig anziehen. Die autogerechte Stadt, die wir uns seit den 1950er-Jahren gebaut haben, hat ihren Zenit erreicht.

Das heißt: „Die Verkehrsräume, an die wir uns Jahrzehnte lang so gewöhnt haben, müssen wir neu betrachten.“

Wie würde die Stadt aussehen, wenn es eine „räumliche Gerechtigkeit“ zwischen den verschiedenen Nutzern des öffentlichen (Verkehrs-)Raumes gäbe?

Warum akzeptieren wir immer noch die Dominanz des Autos in der Stadt? Und wie kann man Verkehrsräume wieder zu öffentlichen, städtischen Räumen für alle Stadtnutzer umgestalten?  Diese Fragen treiben Stefan Bendiks um.

Foto: Simone Melenk

An die 90 Besucher/innen waren in den Gartensaal gekommen, um Stefan Bendiks zu erleben – darunter auch viele Studierende. Gerade junge Leute setzen nicht mehr aufs Auto, vor allem sie werden die Veränderungen vorantreiben.

In den Niederlanden und Belgien, wo Bendiks und sein Team bereits mehrere Wettbewerbe zum Thema Öffentlicher Raum gewonnen und realisiert hat, klappt das Umdenken und Umverteilen dank einer langen und selbstverständlichen Fahrradnutzung schon besser als bei uns. Im regelfreudigen und automobilen Deutschland befinden wir uns scheinbar noch in einer Art Zwischenphase. Wir wissen, so geht es in unseren Städten nicht weiter. Es ist eng, es stinkt, es macht keinen Spaß als Fußgänger, Radfahrer, als Autofahrer aber auch nicht mehr. Mutige Schritte zur Umplanung trauen wir uns aber noch nicht. Wir hadern, wir zaudern. Wir zanken.

Das sei bei seinen Projekten nicht anders gewesen, berichtet Bendiks. Es gibt am Anfang niemals standing ovations für die Planungen, für Neuerungen. Zum Beispiel für die Idee, entlang einer Bahntrasse in Leuven die Straße entlang der Häuser und den Fahrstreifen durch einen schmalen grünen Park neu zu gestalten. Allen voran die Kommunalpolitiker, befeuert oft von zweifelnden Einzelhändlern im Quartier, seien Bremser, wenn es darum gehe, die Privilegien der Autofahrer zurück zu nehmen und den Kfz-Platz in einen öffentlichen Raum zu transformieren, der diesen Namen auch verdient. Die „Stadtgesellschaft“ sei da meistens schon viel weiter, so Bendiks. Eine Erkenntnis, die übrigens auch die Zustimmung der vielen Gäste findet, die Bendiks Vortrag folgen.

Projekt Park Belle-Vue Leuven © Michiel de Cleene

Best-Practice-Beispiel von Stefan Bendiks: Radfahrer, Fußgänger, Jogger benutzen die auch optisch anders gestalteten Fahr- und Gehwege. Auch das Auto hat Platz, alle nehmen Rücksicht aufeinander.

Parvis St. Antoine Bruessel © Michiel de Cleene

Ein Platz in Brüssel, der früher nur Autos vorbehalten war: Die ersten, die den neu gewonnenen Freiraum erobern, sind immer Kinder und Jugendliche, die sich zum Spielen treffen.

Dumonplatz Brüssel © Martin Grabner

Der umgestaltete Dumontplatz in Brüssel: Das Dach bietet sogar neue Möglichkeiten für geschützte Veranstaltungen.

Das Gelingen einer neuen aktiven Mobilität gibt den Planern recht. Allein der Weg dahin könne Jahre dauern, weiß Bendiks aus Erfahrung. In seinem Buch, das er gemeinsam mit seiner Partnerin, der Professorin Aglaée Degros, geschrieben hat und das zur Buchmesse erscheint, nennt er ein paar Tricks zur „Wiederaneignung von Verkehrsraun“: Allen voran das sinnvolle „Verknüpfen“ von Verkehrswegen.

traffic space – public space: ein Handbuch zur Transformation.

Der Beteiligung kommt eine entscheidende Rolle in jedem Planungsverfahren zu. In Real-Labors müsse mit den Menschen, Multiplikatoren, mit Kreativen und Kritikern ausprobiert werden, wie es sein könnte, wenn sich alle gleichberechtigt die Plätze der Stadt teilen. Das können Kunstaktionen sein, ein gemeinsames Pflanzen von Quartiersgrün, Sport- oder Spielaktionen. Eine Belebung der lokalen Ökonomie sei wichtig, dann das konsequente Teilen des Raums. Bendiks plädiert für eine „einfache Ästhetik“ : einfache Materialien und eine klare Gestaltung.

Die Menschen, aber auch die Entscheider von einer Transformation zu überzeugen, bleibe das Bohren von dicken Brettern, gibt Bendiks zu.

Dabei besitzen Bilder die größte Überzeugungskraft: Bilder vorher, Bilder nachher. Stefan Bendiks, überzeugender Botschafter für eine neue aktive Mobilität, zeigt sie immer wieder gerne.

Simone Melenk

 

Nachbericht zur Veranstaltung am 07.10.2019 in Dortmund im Rahmen der Landesreihe „Stadt in Bewegung – mobil ökologisch lebenswert“ des BDA NRW