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Gestern noch vor Kohle – morgen Kreativ-Quartier

22. Oktober 2022

Hammerkopfturm und Direktionsgebäude der Zeche Heinrich Robert: Etliche Gebäude auf dem 53 Hektar großen Gelände stehen unter Denkmalschutz. Foto: Simone Melenk

„Glück Auf“ – tausendmal am Tag gesagt – 500 Bergleute pro Schicht, zuletzt wurden drei gefahren, schafften vor Kohle. Die Hammer Zeche Heinrich Robert zwischen Pelkum und Herringen war Jahrzehnte lang Garant für gute Nachbarschaft und das Gefühl von Heimat. Hier war genug Arbeit für ganze Familien, hier gab‘s Lohn und Brot und zuverlässige Kollegen, Kumpel eben. Die Verbundenheit war groß. Sie ist es immer noch. So sind beim Rundgang übers Gelände auch die Geschwister Seni und Feyza Akyol dabei mit Cousin Ömmer Urslubas. Sie wollen endlich sehen und nachempfinden, wo schon der Ur-Opa über das deutsch-türkische Abwerbeabkommen vor mehr als 60 Jahren, später der Großvater, dann der Vater und Onkel gearbeitet haben. Das junge Trio taucht ein in eine völlig andere fast vergessene Welt. Denn als sie Teenies waren, war hier schon Schicht im Schacht.

Ömer Urslubas und seine Cousinen Sena und Feyza Akyol wollten sehen, wo Uropa, Großvater und Vater/Onkel einst unter Tage geschafft haben.

Mehr als 100 Jahre lang (1901-2010) förderten auf Heinrich Robert fast 6 000 Kumpel 1,5 Mio. Tonnen Steinkohle im Jahr. Die Hammer Zeche bildete später mit den Grubenfeldern der Zeche Werne, Haus Aden und Zeche Monopol in Bergkamen das Verbundbergwerk Ost. 2010 war auch hier Schluss. Jetzt soll der Steinkohlebergbau Platz machen für die Zukunft. 2021 haben post welters + partner Architekten & Stadtplaner BDA/SRL ein städtebauliche Entwicklungskonzept als Basis für die Umnutzung des 53 Hektar großen Quartiers mit einer Gesamtnutzfläche von fast 100 000 Quadratmetern entwickelt. Drei Eigentümer werden nun mit mehr als zwei Dutzend Architekt*innen den alten Kohle-Standort in ein neues Kreativ-Quartier transformieren, in dem der Dreiklang Wohnen, Leben und Arbeiten wieder stimmen soll. Innovative Mobilitätskonzepte und eine nachhaltige Energieversorgung gehören ebenfalls zum Auftrag. Die zum Teil denkmalgeschützten Gebäude unter dem 64 Meter hohen Hammerkopfturm sollen nach dem Prinzip „Cradle to cradle“ saniert werden, heißt: Kostbare Ressourcen werden nicht verschwendet, sondern wieder verwendet. Deshalb stapeln sich an jeder Ecke Steine, in jedem Gebäude wird Holz gehortet, Glas gelagert, Fenster, Metall und alles, was sich irgendwie verwerten lässt.

18 Gebäude stehen noch auf dem großen Gelände, das von den bereits renaturierten Halden Kissinger Höhe und Humbert flankiert wird. Neun Bauten – darunter der 64 Meter hohe Hammerkopfturm – stehen unter Denkmalschutz. Der Förderturm, weithin sichtbares Wahrzeichen der Zeche Heinrich Robert, wurde erst 1953 nach Plänen des Architekten Fritz Schupp errichtet. Maschinenhalle, Direktions- und Nebengebäude, die Schwarz- und Weißkauen, Lampenstube, Betriebsratsbüro – allen voran die imposante alte Lohnhalle sollen mit Blick für die Details der Industriegeschichte saniert werden. Sie bilden um den Turm herum das Kerngebiet des neuen Quartiers mit geplanter Gastronomie- und Freizeitnutzung, aber auch Gesundheitszentrum, Kulturadressen, einem Creativ-Hotel, Kita und dem großem Park, künftig der Zechenpark. Einst war es der großzügig angelegte Direktions-Garten – entsprechend alt der abwechslungsreiche Baumbestand.

Mit der Gründung der Entwicklungsagentur CreativRevier Heinrich Robert GmbH fiel 2017 der Startschuss für die Umnutzung des Zechengeländes. Schon zwei Jahre später wurden die erhaltenswerten Gebäude von der TeHa GmbH gekauft (Tempelmann). Weitere Eigentümer auf dem Gelände sind die RAG Montan Immobilien und die Bau- und Projektentwickler Ten Brinke.

Das gemeinsame Ziel: Binnen der nächsten Jahre das Zechengelände in verkehrsfähige Wohn-, aber auch Gewerbe- und Handelsgrundstücke für Unternehmen aus der Kultur-, Kreativ- und Freizeitwirtschaft umwandeln.

Gruppenbild mit Hammerkopfturm. Foto: Robert Szkudlarek
So könnte es mal werden: Wohnen, Leben, Arbeiten in einem neuen Hammer Quartier, einem Quartier der kurzen. Visualisierung: post welters + partner Architekten & Stadtplaner BDA/SRL

Vorranging geht es jetzt darum, die Gebäude und Flächen aus der Bergaufsicht zu bekommen, erläutert Ruth Weber, die Prokuristin der Entwicklungsagentur und eine erfahrene Wirtschaftsförderin. In 2023 werden die Bebauungspläne spruch- und umsetzungsreif sein. Vier davon wird’s geben: einen für die urbanen Gebiete, einen für Handel- und Gewerbe, einen fürs Wohnen und einen für die Mischgebiete mit Gewerbe und Grünzonen. Die einzelnen Bereichen erläutert Joachim Sterl von post + welters.

Vor allem mit neuen vielseitigen Wohnformen und unterschiedlichen Bautypen – je nach den Bedürfnissen der künftigen – möchte sich das Quartier künftig mit kurzen Wegen für Radfahrer und Fußgänger empfehlen. Minihäuser, Tiny-Häuser, Baugruppen, Sozialer Wohnungsbau und eingegrünte Ein- und Mehrfamilienhäuser haben auf dem Gelände Platz und sind über zwei zentrale Erschließungsstraßen erreichbar. Zwischen 500 und 1000 Wohneinheiten sind denkbar.

Das Gesamtkonzept Energie setze auf alternative Energiequellen, betont Sterl. Denkbar ist eine Kombination verschiedener Technologien zur Energieerzeugung wie Blockheizkraftwerke, Pumpen mit Erdkollektoren, Photovoltaik, Serverheizungen. Noch fließt übrigens reichlich Grubengas. Ein paar Jahre wird diese Energie noch nutzbar sein, so die Einschätzung der Experten.

Covid und der Ukraine-Krieg haben potenzielle Investoren leider deutlich ausgebremst, gibt Ruth Weber zu. Die Transformation brauche wohl mehr Zeit. Aber sie ist fest davon überzeugt: „Das Quartier hat Strahlkraft“.

Text/Fotos: Simone Melenk